prezident interview

(c) Katharina Hertle – www.k-pictures.de/

Es bleibt spannend um das Wuppertaler Ausnahmetalent Prezident. Letzte Woche wurde der Vorverkauf des Kollaboalbums „Leiden oder Langeweile“ mit seinen langjährigen Wegbegleitern Kamikazes gestartet, welches das letzte Release vor dem nächsten Soloalbum Limbus“ sein wird. Zu diesem wird es im April/Mai eine Tour durch Deutschland & Österreich geben, aber dazu gibt an anderer Stelle noch genauere Informationen.

Das nachfolgende Interview wurde vor ca. 8 Monaten im Zuge der „Handfeste“ EP von kopfkrieg-youth.de geführt, aber aus uns nicht näher bekannten Gründen nie veröffentlicht, weshalb Prezident es per Facebook an andere Blogs vermitteln wollte. Nun landete es über Umwege bei Daily Rap und es ist uns eine Ehre, ihm eine Plattform zu bieten zu dürfen.
Es wäre schade, wenn diese sechs Stunden dauernde Unterhaltung – richtig oldschool per ICQ geführt – in den Tiefen irgendwelcher Festplatten versinken müsste. Viel Spaß beim Lesen!

 

kopfkrieg-youth.de: Du rappst auf „…und immer noch nicht nach Berlin gezogen“ die Zeile „Man fühlt sich wohl als Misanthrop im Niemandsland“. Inwiefern hat das Aufwachsen in Wuppertal Einfluss auf deine Musik genommen?

Prezident: Schwer zu sagen. Die Stadt hat sicherlich eine bestimmte Atmosphäre, die ich versuche umzusetzen; natürlich spielen auch ganz einfach praktische Aspekte mit rein beim Musikmachen, wenn man aus einer Stadt abseits der großen HipHop- und Medienmetropolen kommt, die aber trotzdem jetzt auch kein Dorf abseits vom Schuss ist. Die Line an sich legt es aber vor allem auf das Bonmot „Misanthrop im Niemandsland“ an.

Hattest du jemals das Bedürfnis in eine hinsichtlich Infrastruktur für ambitionierte Künstler besser ausgestatte Stadt zu ziehen oder haben Wuppertal und deine Erwartungen an die Musikkarriere und Attitüde sich recht schnell gedeckt, sodass das nie ein Thema war?

Da kommt ja eigentlich nur Berlin in Frage und einer der Menschen, die nach Berlin ziehen, um da als Künstler durchzustarten, wollte ich nie sein. Aber ich war ja auch ganz einfach durch mein Studium und meinen Job gebunden die ganzen Jahre.

Ich frage, weil mir die Zeile „Wuppertal und Untergrund ham wat gemein – keiner dort will lange bleiben“ auf „Du hattest nie das Zeug dazu“ aufgefallen ist – darum, dass mehr Beachtung und die wirtschaftliche Stellung einer einigermaßen soliden Karriere dir schon gelegen kommen würden, auch wenn du es nicht darauf anlegen würdest, hast du nie einen Hehl gemacht. Bezüglich Wuppertal fielen mir keine sonstigen Äußerungen auf, wobei Studium und Job natürlich legitime Gründe sind. Ist die Tatsache, dass es bis dato kein einziges Video-Interview mit den etwas größeren Rap-Massenmedien wie 16bars.de von dir gibt, dann auch eher auf persönliche Bequemlichkeit deinerseits oder auf mangelndes Interesse oder eben wahlweise den Umstand, dass man nicht so oft in Wuppertal vorbeikommt, seitens der Medien zurückzuführen?

Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Ist aber sicherlich ein Faktor, dass viele von denen in Berlin sitzen und für mich nicht extra ins Tal fahren. Kann mir aber auch vorstellen, dass die mit mir nicht so sonderlich viel anzufangen wissen. Ich bin ja sicherlich nicht auf die Art und Weise interessant, auf die es etwa ein Haftbefehl ist.

Aber inzwischen bekommen doch selbst Nischen-Phänomene schon Interview-Slots eingeräumt, bei denen ich wiederum der Meinung bin, dass sie in Sachen Klickzahlen generieren für die Redaktion als auch hinsichtlich künstlerisches Schaffen für die Leserschaft nicht wirklich relevant sind.

Joah, kann sein. Wobei mir jetzt spontan keiner einfiele, der bedeutend unbekannter wäre als ich. [Pause] Nenn einen! Starte Beef! Das könnte ja dann mein Ticket zu 16bars.de sein.

Hahaha. Also ich fand es schon äußerst erstaunlich, dass eine Naya Isso – lediglich basierend auf etwas passiver VBT-Präsenz und einem Song über „Mädchen-Hibbidihopp“, der zwar in Sachen textlicher Oberfläche ein weibliches Pendant zu Cro anmuten ließ, aber dennoch am Ende nur ein schlechter Song war – bei hiphop.de auf einmal auf der Startseite mit zwei Interviews gehandlet wurde.

Die sieht auch besser als ich. Auch schon vor der Brille. Ein Textinterview mit Naya Isso erscheint mir einigermaßen absurd. Also wie gesagt, ich weiß es letzten Endes auch nicht. Aber neben praktischen Gründen, wie dass ich eben mich da auch nicht sonderlich bemühe, kann es schon so ein Faktor sein, dass ein Videointerview mit mir für die nicht so attraktiv erscheint. Die müssten sich ja dann notgedrungenermaßen über meine Musik unterhalten und am Ende noch über die Texte. Und das eine Videointerview hat ja meine Unfähigkeit bewiesen, auf sinnlose Fragen engagierte funky Antworten zu geben. Von daher weiß ich selbst gar nicht, wie groß meine Lust auf Videointerviews ist. Man wird nämlich ziemlich viel Scheiß gefragt, wenn man als deeper Rapper gilt und dann steht man vor der Wahl, auf eine Trottelfrage wie „Wie siehst du das mit der Gesellschaft und so?“ eine Trottelantwort zu geben, woraufhin man aussieht wie ein Trottel oder die Trottelfrage als Trottelfrage zu bezeichnen, woraufhin man selbst arrogant aussieht – womit ich weniger ein Problem habe – was aber auch nicht so schön ist für den Moderator.

Da fühlte ich mich als Zuschauer auch stellenweise etwas peinlich berührt, aber darauf komm ich später auch noch zu sprechen. Ich denke, bei sinnlosen Fragen sollte man sich etwas an dieses japanischen Fernsehformat aus „Lost in Translation“ halten, bloß dass der Interviewte nach jeder sinnlosen Frage random stuff aktivieren dürfte, wie prügelnde Kleinwüchsige, Tischtennis spielende Schimpansen, etc.
Lass uns aber mal etwas weiter vorne anfangen. In welchem Alter hast du allmählich Gefallen an Literatur gefunden?

Ich hab als Kind gelesen, dann länger nicht mehr, dann wieder mit 17, 18 oder so.

Man wacht als Siebzehnjähriger aber ja nicht eines Morgens auf und denkt sich „Ah ja, Bourdieu und Bukowski sollte ich mir mal zu Gemüte führen!“. Oder doch?

Es gibt eine allgemeine Tendenz, vor allem unter Jungen, im Teenageralter nicht zu lesen. Man hat ja auch besseres zu tun mit 14. Okay, mit 17, 18 eigentlich auch noch. Ein Faktor mag sicherlich gewesen sein, dass ich in der Unterstufe eine beschissene Deutschlehrerin hatte und in der Oberstufe eine gute. Bukowski hat mir mal n Kollege gezeigt, fast zeitgleich mit den Doors und Tom Waits.

Trifft tatsächlich auch auf mich zu – in der Grundschule noch völlig entflammt für „Harry Potter“ und lauter Fantasy-Kram, dann aber schnell eher skaten, ohne skaten zu können, Musikkonsum und Zocken. Zu diesem Zeitpunkt hast du ja bereits Rap konsumiert. Auch schon selber gemacht? Oder ging das erst ein, zwei Jahre darauf los?

Nee, viel früher… ich hab eigentlich fast unmittelbar, nachdem ich angefangen habe, Rap zu hören – mit 13, 14 – auch mit dem Rappen angefangen. Da lagen maximal ein paar Monate Verzögerung dazwischen.

Inwiefern hat die wiederkehrende Begeisterung für Bücher als auch die Begeisterung für Autoren wie Kafka, Bukowski, Palahniuk, Büchner, etc. denn dein Songwriting beeinflusst? Du hast in einem Interview einmal gesagt, dass du beispielsweise an Palahniuk den verkürzten Erzählstil und die immer wiederkehrenden Hooklines feierst.

Gut, dass du das noch hinzufügst, ich war schon versucht, dieselbe Interviewantwort zu googlen und zu schreiben. Aber das ist ja schon ne Teilantwort. Man kann sich das sicherlich ein bisschen wie den Eißfeldtspruch von der Inzest vorstellen, aber auf die Textebene bezogen. Oder halt wie Tuas Paralympicsgedanke. Man kommt schon auf Sachen, auf die man nicht kommt, wenn man nur Rap hört. Zumindest war das vor zehn Jahren so, heute sicherlich weniger.

Erster Ansatz gegen Wackness also: Mehr Bücher lesen? Klingt aber doch immer so viel verlangt und nach Arbeit.

Vielleicht gegen ne bestimmte Art von Wackness. Je nachdem, was man ausdrücken will in seinen Texten. Bisschen Abstand vom Genre ist sicherlich nie schlecht gegen Betriebsblindheit.

Auf „Als wollte Gott uns ersaufen“ hast du auch einmal Dirk Bernemanns „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ referenziert. Ich habe das einmal zum Anlass genommen, ihm zwei Songs von dir – „Weltfremd“ und „Menschenpyramiden“ – zuzuspielen und seine Meinung diesbezüglich einzuholen: „Weltfremd ist die poetische Beschreibung unser aller Gefängnisumgebung. Supergute, dichte Sprache. Lyrisch super komprimiert. Bei Menschenpyramiden (den Track kannte ich schon), gibt es die große Zeile mit dem Aldi, die ich massiv feiere. Aber auch der ganze Track ist komprimierte und sehr individuelle Systemkritik. Haut rein, ich mag das sehr.“

Ja, irgendjemand hatte Bernemann schon einmal Texte von mir zugespielt, hab allerdings vergessen, wer das war.
Ach so: Joah danke.

Vielleicht jemand von den Antilopen? Zu denen scheint er auch einen relativ guten Draht zu haben.

Nee, war ein Veranstalter, der mal ne Lesung von ihm organsiert hatte.

Ein stringentes Motiv in deinen Texten ist die Kritik an Mittelmäßigkeit – sowohl als Anspruch an die eigene Kunst, als auch im Bezug auf die Sicht aufs Leben. Auf „…und immer noch nicht nach Berlin gezogen“ rappst du „Du Wichser übertreibst in dem Moment, in dem du „Ich“ sagst“, als auch auf „Torso“ „Und du hast kein Ohr für die Freunde, keinen Riecher für die Feinde / keine Augen, keinen Blick, zu unterscheiden zwischen Beiden / und vor allem keinen Verstand, um zu begreifen“. Erst einmal: Wieso beschäftigt bzw. hat dich dieser Hang zum Realitätsfremden und die Naivität mancher Menschen so beschäftigt?

Keine Ahnung. Ich nehme an, das ergibt sich, wenn man das Gefühl hat, man ist der Einzige, der erkennt, dass der Kaiser nackt ist. Oder ich mag es einfach, „Ja, aber“ zu sagen. Abgesehen davon ergibt sich das natürlich aus dem Battlegedanken. Mit irgendwas muss man ja kommen, wenn man nicht die besten Messerstecherstorys am Start hat.

Dieser Kritik lässt du in „Torso“ „Ich will dich nur dazu bringen, einen Fuß vor den anderen zu setzen – beweg dich!“ folgen, gleichzeitig inszenierst du dich in deinen Texten aber gerne als Mensch mit misanthropischen, weltfremden Zügen und rappst auf „Oswald Spengler“: „Reflektierte Ignoranz, ich hab‘ nicht vor, was zu bewirken“.

Ja. Wobei das an der Torsostelle ja eine Einschränkung ist und sozusagen vom anderen Ende her gedacht ist: „Mir folgen, hieße, mich zu überschätzen“. Ich will tatsächlich nichts bewirken, aber natürlich hören mir Leute zu und lassen sich eventuell beeinflussen. Für den Fall sei ihnen gesagt, dass sie selber denken sollen, anstelle auf mich zu hören. Der Widerspruch darin ist geschenkt.

Du lässt deiner Wut auf einige gesellschaftliche und menschliche Verhaltensmuster in den Texten häufig Raum, beispielsweise auf Unehrlichkeit – vor allem sich selbst gegenüber – , der Glaube, einzig und allein die Dauer einer Tätigkeit oder beispielsweise das Alter würde einen Menschen zu etwas Höherem privilegieren – sei es Lebenserfahrung und Wissen oder zwischenmenschliche Dinge wie Empathie. Ebenso sich keine Mühe geben zu wollen, Dinge etwas subtiler zu durchleuchten und zu fassen zu kriegen. Hast du beispielsweise während deiner Schulzeit noch impulsiver auf solche Dinge reagiert, da man sich im Schulrahmen weniger in seinem auserwählten Mikrokosmos umgeben konnte?

Ach, von Wut kann keine Rede sein. Es ist eher ein Augenrollen. Das mit dem Alter ist mir allerdings neu.

Ich fand, man konnte „Man fragt Frauen nicht, wie alt sie sind / Man fragt Studenten nicht, wie lang sie schon studieren / Mach dir selber weiß, der Weg sei das Ziel“ auf „Succubus“ in die Richtung interpretieren.

Nee, ist doch nur son Langzeitstudentenwitz und zudem ja eh an mich selbst gerichtet. Oder dieses mir nahestehende lyrische Du in dem Track.

In einem Interview sagtest du kürzlich, dass du „dieser Welt eine solide 5,5 auf einer Skala von 1 bis 10“ geben würdest – im Hinblick auf die Dummheit der Welt. Denkst du inzwischen tatsächlich so rational? Ich schätze, dieses rationale Denken ist an eine arg reservierte Erwartungshaltung gegenüber Menschen gekoppelt. Wann wurdest du das letzte Mal entgegen deiner Erwartung auf zwischenmenschlicher Ebene überrascht?

Nee, das war auch nur ein Witz. Es ist natürlich albern, sich über diese Welt in toto zu beschweren und sie schlimm zu finden oder nicht, denn es gibt ja keine andere und somit keine Vergleichsmöglichkeit. Ich habe aber in letzter Zeit stärker als zuvor realisiert, wie dumm der Abgleich mit irgendwelchen Idealen ist.

Zum Beispiel?

Was zum Beispiel?

An welchen Idealen du das gemerkt hast.

In erster Linie den linken, also traditionell den sozialistischen oder den jüngst nachgefolgten postfeministischen Gesellschaftsutopien.

Um etwas den Rap-Kontext zu wahren: Hast du denn die wilde Diskussion um Bass Sultan Hengzts vermeintliches Album-Cover, auf dem sich zwei Männer küssen, und die erneut aufflammende Debatte um Homophobie in Rap mitbekommen?

Ja, war albern. War ja auch keine echte Diskussion, alle haben ja brav Sookees Kommentar geteilt – höchstwahrscheinlich, ohne ihn gelesen zu haben – und dabei vergessen, dass ja überhaupt nix passiert ist. Man kann ja noch einmal daran erinnern, dass keineswegs Schwule totgeschlagen worden sind auf dem letzten Splash, sondern dass sich lediglich herausgestellt hat, dass sich unter den 300.000 Followern von BSH auf Facebook Trottel befinden. Und dass sich die Menschheit in den sozialen Netzwerken nicht immer von ihrer besten Seite zeigt. Wow.

Ich fand eigentlich am albernsten, dass Bass Sultan Hengzt zu diesem „mutigen Move“ gratuliert wurde.

Mal ne ganz steile These: Deutschrap hat überhaupt kein besonderes Homophobieproblem. Zunächst mal: Man stelle sich vor, irgendein größerer deutscher Konzern mit 300.000 Facebookdaumen hätte Werbung mit küssenden Schwulen gemacht. Oder ein Fußballverein. Oder eine Gewerkschaft, eine Partei – und zwar nicht nur die Afd – wirklich irgendwer. Da wären sicherlich ähnliche Kommentare gekommen. Kommentare im Netz halt, wo kein Schließmuskel die Gedankenfurze des Einzelnen verhindern kann.

Staiger hat Rap einmal als „neutralen Spiegel der Gesellschaft“ betitelt. Ist das deiner Meinung nach für die Frage nach den Gründen für Sexismus und Homophobie in Rap bezeichnend genug, oder bist du anderer Meinung?

„Neutraler Spiegel der Gesellschaft“ ist auch so ne Nullaussage. Aber es ist einfach ein Klischee, dass Hip Hop besonders frauenfeindlich und homophob sei. Quasi jede Jugendkultur ist männlich dominiert und kultiviert eine bestimmte Form von Machismo. Ich würde die These aufstellen, dass das überhaupt der springende Punkt bei Jugendkulturen ist, dass sie einen spielerischen, phasenweisen Ausgleich schaffen zur hegemonialen bürgerlichen Kultur, die seit dem Zweiten Weltkrieg immer verweiblichter wurde. Bei Rap ist halt das Ding, dass Rap viel expliziter ist als z.B. Rock. Aber letztens habe ich in einer Kritik zu einem Rockalbum gelesen, das sei Musik, „die Hausfrauen beim Bügeln hören könnten“ – selbstverständlich als Verriss gemeint. Das ist derselbe Machismo, dieselbe Misogynie wie im Rap, nur nicht ganz so drastisch formuliert.

Ich denke, problematisch wird es erst wenn das Kokettieren mit machistischen Zügen in der Musik in Interviews – also in einem Rahmen, der näher an der Privat- als an der Kunstfigur dran ist – eine Eigendynamik entwickelt und einstudierte Phrasen wie „Ich hab echt nichts gegen Schwule, so lange die nicht in der U-Bahn vor meinen Augen rummachen…“ dabei herauskommen.

Joah, ist ein dummer Satz, aber Menschen sagen dumme Dinge, sobald sie den Mund aufmachen. Abgesehen davon ist auch die Aussage ja alles andere als HipHop-spezifisch.

Aber gerade weil es nicht hiphop-spezifisch ist, zeigt es ja, dass es eher eine aus der Gesellschaft resultierende Problematik ist – was ja auch deine Steilthese von vorhin stützen würde. Wobei ich natürlich nicht per se auf Homophobie schließen würde, bloß weil jemand etwas unreflektiertes widergibt, was Savas oder ein anderes Vorbild ihm in Interviews einst auf den Weg mitgab. Ein Kollege von mir hat einmal vorgeschlagen, eine oberflächliche Lösung zu verfolgen, bei der im Rap homophobe und sexistische Ausdrücke ab sofort vermieden werden, so dass es sich zu einem unhinterfragtem Sprachgebrauch entwickelt, quasi nach dem Motto „fake it till you make it“. Da er der Auffassung war, dass der aggressiv-pädagogischen Ansatz des Zeckenraps gemessen am aktuellen Rap-Standard zu dilettantisch klinge und der elitäre Duktus eher ausgrenzend wirke, als dass er zum Nachdenken anregen würde.

Damit ist aber die bügelnde Hausfrau weiter mit dabei. Das ist dumme political correctness, weil man nur einzelne Worte streicht, aber nicht die Konzepte dahinter. Es gibt einige Rapper, die „schwul“ aus ihrem Wortschatz gestrichen haben, aber dann trotzdem Punchlines bringen, in denen sie sich de facto über homosexuelle Praktiken lustig machen. Das ist doch albern, genau, wie wenn sich Leute über die „Schwuchtelrapperschiene“ in EinsNeunzigaufBühnen aufregen. Die reagieren wie so pawlow‘sche Hunde. Ich hab auf jeden Fall Stellen, die sich eher als homophob lesen lassen, etwa das „Dein A´n´R holt sich n Kuss ab“ in „Nougat“, aber die sind nie einem aufgefallen. Darüber hinaus kommt man auf diesem Weg vom Hölzchen zum Stöckchen zu kulturellen Großkonzepten von Effemination, Männlichkeit etc., die Teil unserer Identität in dieser Zeit in unserer Kultur sind. Und die man nicht abschaffen könnte, wenn man wollte, wobei Wollen und Können eh in eins fallen an dieser Stelle.

Ich hatte beim Durchskippen des letzten Savas-Albums dann auch eher Bedenken bei solchen Zeilen wie „Steh‘ deinen Mann, jetzt sag es, du stehst auf ’nen Mann / Deutschrap ist liberal, in deinem Fall trenn es / denn du willst lieber Aal“, als bei dem inflationären Gebrauch von „Schwuchtel“ oder Ähnlichem. Auch dass Sookee sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit über Homophobie in Rap irgendwann so sehr in der Bedeutung / des Ursprungs des Slogans „No Homo“ verrannt hat, empfand ich dann als zu viel.

Savas ist ja eh das große Beispiel von einem, dessen krass überzogenen, schwulenfeindlichen Texte man lustig fand und der eklig wurde, als man feststellen musste, dass der Typ tatsächlich so tickt. Sookees Arbeit habe ich nicht gelesen.

Okay, abschließend: Aber wieso denkst du, dass Künstler nicht öffentlich das Gespräch mit anderen Künstlern suchen und eben über genau dieses Gefühl von Ekel, weil „Meint er das jetzt ernst?“, zu reden und es gegebenenfalls aufzuklären? Denn in Interviews wären wir dann wieder bei der „Ich hab nichts gegen Schwule… aber knutschen in der U-Bahn sollten sie halt wirklich nicht.“-Nummer.

Ich rede ja gar nicht von Ambiguität, sondern von einem Irrtum.

Irrtum hinsichtlich seines Denkens?

Ja.

Und du würdest ihn dann lieber in diesem Denken lassen bzw. hältst es für aussichtslos mit ihm darüber zu sprechen? Oder einfach nicht als deine Aufgabe?

Ich erachte es natürlich nicht als meine Aufgabe, einen mir persönlich völlig unbekannten Menschen in seinem Denken zu korrigieren. Ich wüsste vor allen Dingen auch nicht, wie ich das tun sollte.

Ich sehe das Szenario – „Künstler vs. Künstler Gespräch“ – einfach mal stellvertretend für Personen mit ähnlichem Denken im näheren Umfeld. Das nimmst du doch auch nicht einfach so hin. Es geht auch gar nicht darum, jemanden von Grund auf umzuerziehen, sondern vielmehr darum ihm zu veranschaulichen, dass sein Denken in vielerlei Hinsicht keinen Sinn ergibt.

Ich häng mit verschiedenen Sorten Mensch ab und nehme da so einiges hin.

Aus Bequemlichkeit, die Diskussion zu suchen oder weil du denkst, dass du ohnehin keinen Eindruck schinden würdest? Wobei „so einiges“ natürlich auch erst mal schwammig ist.

Ja genau, das ist natürlich ne schwammige Diskussion, ab wann ich beginne würde, gegen irgendeinen Unsinn von einem meiner Freunde oder Bekannten anzudiskutieren.

Ist auch zu müßig das noch weiter auszuweiten…Du beziehst auf „Anti“ mit der Zeile „Anti leere Phrase, anti Image, anti Kitsch“ Stellung hinsichtlich dem aktuellen Deutschrap-Geschehens. Was sind deine präferierten Deutschrap-Phrasen, die sich im Laufe der letzten Jahre in den Schema F – Baukasten jedes mittelmäßigen Deutschrap-Albums eingeschlichen haben?

Also gibt natürlich ein paar Klassiker: „Ich geh meinen Weg“, „Kopf hoch, Bruder / Homie“, „Meine Zeit ist jetzt gekommen“. Nochmal ironisch „Ihr habt lang genug gewartet“ referieren ist auch so richtig schön scheiße… Die Nationalitäten der Homies aufzählen könnte man mittlerweile auch bleiben lassen…

Ich finde man sollte die häufig erwähnte Güte, seinen Ex-Kollegen am Essenstisch seiner Mutter hat Platz nehmen lassen, nicht vergessen.

…und Couches… Du hast bei mir auf der Couch geschlafen, meine Mutter (MEINE MUTTER!!!!!) hat dir Essen gekocht… Boah, irgendwas ganz Großes vergesse ich grade…Auf jeden Fall noch, dass alle falsch sind… Schlangen…

Weniger Phrase, aber auch immer super finde ich es, wenn Künstler neuerdings den Journalisten vor laufender Kamera nach dessen Meinung zu ihrem Album fragen, um auch auf Band noch mal die Bestätigung für die Qualität ihres Produkts zu erhaschen. Laut der Journalisten müssten also so 80 % der im Jahr erscheinenden Deutschrap-Alben richtig stabil sein.

Ja, was willste auch sagen?

Lustiger Trend.

Kuck keine Deutschrapperinterviews, ist mir deshalb nicht aufgefallen

Das tut mir leid für dich. Hast du dich in deinem bisherigen Schaffen denn jemals Klischees oder längst durchgespielten Songstrukturen bedient, die du aus heutiger Sicht so nicht mehr bedienen würdest?

Naja, was sollen denn längst durchgespielte Songstrukturen im Rap sein?

Mir würde da spontan „Rasche Schnitte“ einfallen – jede Strophe nach diesem „Meine Musik ist / Musik für…“-Muster, ambivalent zu all den etlichen „Ein letztes Mal…“-Songs, die schon jeder zweite Straßenrapper auf seinen Alben hatte.

Ach so, sowas meinst du. Ja, eigentlich schon dumm, so der eigenen Musik Zwecke zuzuschreiben.

Ansonsten bist du der Klischee-Falle weitgehend entgangen?

Geht so. Ich würde jetzt nicht den allerersten Stein werfen. Ich geb mir eine stabile 5, 5

Wie stehst du eigentlich zu Feature-Anfragen außerhalb deines direkten musikalischen Umfelds um die Kamikazes und Co.? Ich war beispielsweise überrascht, als du auf dem „König ohne Krone“ Allstar-Track aufgetaucht bist.

Ja, man hatte mir im Vorfeld eine vorteilhaft klingende Auswahl der beteiligten Künstler zugeschickt. Außerdem ist der Beat geil. Props an Enaka an dieser Stelle. Ja, Features klappen bei mir oft nicht so wie ich will, aber prinzipiell bin ich da jetzt nicht so abgeneigt. Aber auch nicht krass hinterher.

Ähnlich überrascht war ich auch, als ich kürzlich erst dein Feature auf Ahzumjots – ehemals noch Ajay – Debütalbum entdeckt hatte. Wo hast du da damals die künstlerische Überschneidung gesehen oder ist die überhaupt nicht notwendig, damit du Features mit Außenstehenden machst?

In dem Fall war es so, dass ich und Sickless beide Bock auf den Beat und relativ spontan geschrieben hatten. Durch Sickless wird da der Kontakt zum Ajay gewesen sein, ich kenne ihn ja nicht persönlich. Aber ich bin bei Features mit Außenstehenden jetzt auch nicht krass dogmatisch, es muss halt nur irgendwie Sinn machen. Also soll heißen: Wenn mich irgendwer anschreibt, den ich nicht kenne und dessen Mucke ich nicht oder nur halb feier – warum soll ich mich dann hinsetzen und was schreiben? Sind ja auch Lines, die ich für irgendwas Eigenes nehmen könnte. Aber Sickless kenne ich ja schon länger und wenn der noch jemanden auf den Track holt, ist das ja auch okay. Degenhardt und Elsta kennen sich ja z.B. auch nicht. Glaub ich

Du hast das Jahr 2008 in einem Interview mal als „Golden Era“ des Deutschrap bezeichnet, was den qualitativen Output betrifft. Würdest du sagen, die Herangehensweise der meisten Künstler an Musik war gegen 2008 noch eine naivere, was am Ende jedoch der Musik zu Gute kam, während man heute oftmals den Eindruck hat, dass die Musik an zweiter Stelle nach der Planung des Promophase-Marathons und der Auswahl an Deluxe Edition-Goodies steht?

Nee, hab ich nicht… wo? Ich selbst war 2008 sehr produktiv und Deutschrap war insgesamt zwischen 2005-2010 spannender als er immer dargestellt wurde in der Zeit.

[…]“Ich bin ja eh der Meinung, wir sind in einer Art “Golden Era” des Deutschrap. Marteria hat die besten Beats, die ich seit langem gehört habe, Maeckes und Plan B machen extrem innovatives Zeuch und gute Rapper gibt‘s sowieso extrem viele mittlerweile. Fehlen eigentlich nur noch die Klassikeralben, an denen hapert es noch n bisschen. Aber vielleicht kann das mp3-Zeitalter überhaupt keine Klassikeralben mehr hervorbringen, kann auch sein. (…)“

[…] Ja, wie gesagt, die Phase zwischen 2005-2010 empfand ich als für Deutschrap sehr spannend, vor allem aber als spannender, als ständig behauptet wurde. „Golden Era“ ist vielleicht dick aufgetragen, aber da ist schon einiges passiert, was weitestgehend ignoriert wurde. Ich glaube aber nicht, dass das mit irgendeiner anderen Herangehensweise zu tun hatte und vor allem nicht mit einer bestimmten Naivität. Ich hör grade Lgoony, da ist ja von mangelnder Naivität wenig zu spüren.

Bei rappenden Youtubern und einem Majoe hingegen schon.

Ignoriere ich beides.

In Punkto „Naivität“ muss ich immer an Snaga & Pillath denken, die über drei Jahre bis 2007 ja einen unglaublichen Hype generiert haben und dann zwei Jahre später, nach ihrem zweiten Album, völlig untergegangen sind.

Warum in Punkto „Naivität“?

Da sie, auch laut Snaga, Dinge wie eine im Vorhinein gut durchgeplante Promophase, etc. eben völlig vernachlässigt haben oder es sich zu der damaligen Zeit vielleicht mangels Infrastruktur auch noch nicht realisieren ließ – es den Beiden aber in erster Linie auch immer primär um’s Musik machen ging. Daher „Naivität“.

Ach, die waren doch auf vier Labels hintereinander oder so, da werden die sich ja wohl ein bisschen was abgeschaut haben. Deren Zeit war einfach vorbei zwei Jahre nach dem Album. Wäre jetzt meine Ferndiagnose.

Um nochmal auf die Zeilen aus „Anti“ anzuschließen: Ich finde, dass die Zeile „Und wenn du sagst, dass du leidest, weiß ich nicht mehr als von der Hölle, wenn es heißt, dass sie heiß ist“ die Problematik des oftmals platten Songwritings vieler Rapper noch immer treffend auf den Punkt bringt.

Nee, da geht‘s ja eher um Solipsismus und Grenzen der Empathie. Die Zeile ist ja eh nicht von mir, aber ich hab bestimmt nicht an andere Rapper gedacht, als ich sie verwendet habe.

Die Bedeutung und die Kafka-Referenz ist mir bewusst, aber ich finde sie lässt sich auch prima auf diese Schwäche hinsichtlich des Songwritings vieler Rapper anwenden, die sich eben auch mit deiner Kritik an die Herangehensweise an Texte und Musik vieler Künstler deckt.

Joah stimmt, könnte auch ne Punchline sein in nem anderen Kontext.

Welche Künstler aus Deutschland würdest du in Sachen Songwriting denn positiv erwähnen?

Was genau meinst du jetzt mit Songwriting?

Wie die Texte strukturiert, aufgebaut sind. Literarische Querverweise, etc.

Ich halte literarische Querverweise jetzt nicht für obligatorisch für Raptexte – um Himmels Willen.

Nur als Beispiel.

Hmmm, wüsste jetzt ehrlich gesagt keinen, den ich genau für sein Songwriting positiv erwähnen würde. Am ehesten noch die Brüder.

Würde man mit der Annahme richtig liegen, dass du, wenn du über deinen „persönlichen Leidensweg“ sprichst, lieber die beobachtende Perspektive einnimmst, um die Folgen dieses Leidens abzuhandeln, anstatt konkret die Ursache bis ins kleinste Detail auszuformulieren? Hast du Angst davor, deine Texte mit selbstgerechter Larmoyanz anzurühren?

Erste Frage: Nein, man würde falsch liegen. Zweite Frage: Ja, bis auf das „selbstgerecht“. Die beobachtende Perspektive wäre ja tendenziell eine von außen mit größerer Objektivität. Das ist natürlich problematischer als die Niederschrift eines subjektiven Empfindens.

Dennoch vermeidest du es, mit der Tür ins Haus – plakative, platte Zeilen – zu fallen, wenn du bspw. über deine eigenen Schwächen und erlebtes Leid sprichst.

Ich vermeide generell plakative platte Zeilen. Oder versuche es.

Der Larmoyanz und wehleidigen Selbstdarstellung nimmst du dich auch auf „Mount Average“ an. Auf demselben Song rappst du „Auch ich hab‘ sicher einen Schaden, aber den mach ich nicht amtlich und er kriegt auch keinen Namen“. Wen genau sprichst du speziell mit dem zweiten Part an?

Der Track handelt allgemein vom Verhältnis von Leben und Narrativität und da geht es dann auch darum, wie ein bestimmtes Empfinden erzählt wird und in Allgemeingut gewordene Muster gerinnt. In dem Kontext geht es in der zweiten Strophe um psychische Krankheiten und deren Kategorisierung im psychiatrischen System. Ich bin kein Freund davon. Ich bin mir bewusst, dass all diese Kategorien und Definitionen Artefakte sind. Umso lächerlicher empfinde ich jene Sorte Weisse Scheisse-Fans, die ihre angeblichen oder tatsächlichen psychischen Defekte als identitätsbildend empfinden und wie Schärpen um sich herumtragen.

Also diese „Richtig cool, wie wir unser Leben nicht auf die Reihe kriegen, auch wenn wir es rein prinzipiell vielleicht sogar könnten“-Scheindepression.

Geht nicht unbedingt um Schein oder Sein, auch wenn das sicherlich mit reinspielt. Es geht grundsätzlicher um die Annahme einer solchen Fremdbeschreibung in Bezug auf das eigene Denken und Empfinden. Mir wäre es zuwider und ich käme nie auf die Idee, mich als krank in irgendeiner Form bezeichnen zu lassen, um etwas zu sein.

Gibt es denn auch Zeilen, in denen du es zwar nicht für notwendig hältst, zu erläutern, dass du dich bei der Aussage selbst nicht ausnimmst, du aber dennoch auch von dir selbst sprichst? Oder kam es auch schon vor, dass du ehemalige Gedankengänge und Meinungen von dir selber, die du aus heutiger Sicht nicht mehr vertreten würdest, einfach einer fiktiven Person zuschreibst und darüber rappst?

Ach so…. Ja, sowas kommt vor, das Phänomen hat Absz gut beobachtet

Fällt dir spontan eine Zeile ein, bei der dies der Fall war?

Nope. Aber ich hab z.B. als Kiddie krass auf Doppelreime geachtet und bin allgemein sehr seelenlos an Rap rangegangen… sozusagen verstandsmäßig, weil mein Gefühl für Rap nicht so gefestigt war… Sehr unfunky. Darüber mache ich mich bestimmt irgendwo lustig

(Ich nehme übrigens an, dass du mit 4 Stunden Interview langsam einen Rekord aufstellst… Haste noch viel? – schon noch’n bisschen –  Okaisen, ich bin aber mal eben im Keller und stell nen bißchen Sperrmüll auf die Straße)

Auf „Menschenpyramiden“ sagst du beispielsweise „(…) wenn so vieles auf dem Spiel steht / Kann der Mensch nicht akzeptieren, dass sich die Sonne nicht um ihn dreht“ – auf Rapgenius wurde in die Zeile das „Sollte man plötzlich die Diagnose einer unheilbaren Krankheit erfahren, dann…“- Szenario hineininterpretiert. Diesbezüglich kannst du dich auch nicht hundertprozentig ausschließen, oder?

Ich verstehe weder die Rapgenius-Interpretation, noch die Anschlussfrage

Rapgenius-Interpretation: Wenn der Mensch von einer Krankheit wie bspw. Krebs erfährt, kann er nicht fassen, dass es ausgerechnet ihn betrifft. Anschlussfrage: Wenn man sich jetzt dieses Krebs-Szenario vorstellt, könntest du – wenn du vom „Mensch, der nicht akzeptieren kann, dass sich die Sonne nicht um ihn dreht“ sprichst – ebenfalls dieser „Mensch“ sein, der sich auf einmal fragt, wieso denn ausgerechnet er die Diagnose bekommen hat und nicht die hässliche Untermieterin.
Und à propos Rapgenius: Du hast auch einmal in einem Interview gesagt, dass deine Texte nicht eindeutig zu interpretieren seien. Liest du dir hin und wieder die Interpretationen auf Rapgenius durch? Bist du weitgehend d’accord damit oder eher konsequent am Kopfschütteln?

Die Zeile mit der Sonne greift ein Bildnis von Norbert Elias auf, das dieser im Rahmen seiner Engagement-Distanzierungs-Theorie aufgestellt hat. Es geht dabei um den Gedanken, dass man auch in seinen sozialen und gesellschaftlichen Beobachtungen und Konklusionen eine distanzierte Objektivität anstreben sollte – nach dem Vorbild der Naturwissenschaften. Wichtig ist dabei die Beobachtung, dass auch die Naturwissenschaften erst diesen Punkt erreichen mussten. Elias geht dabei von animistischen Vorstellungen im primitiven Kulturen aus, von Ureinwohnern, die denken, dass auch Steine Gefühle haben und die Götter zu ihnen sprechen, wenn es blitzt und donnert. Dieser primitive Narzissmus ist quasi das reinste Engagement: Die Vorstellung, dass alles, was einem zustößt, im eigenen Verhalten begründet liegt. Auch der antike Götterkosmos bleibt noch diesem Denken verhaftet und angeblich hätten die alten Griechen erst sehr langsam einen Begriff von „Ursache“ entwickelt, dem nicht der Gedanke der „Schuld“ innewohnte. Das heißt, die Idee, dass etwas passieren könnte einfach aus Zufall oder Pech, ohne dass jemand es gewollt hätte oder daran die Schuld trägt, war ihnen fremd.
Letztlich lässt sich das Ganze natürlich weiter fortschreiben in die monotheistischen Gottesvorstellungen, in die Vorstellung des Christengottes, der strafend und korrigierend in die Geschichte eingreift und ebenso in die aus der Antike übernommenen magischen Praktiken des Mittelalters. Das Revolutionäre der Naturwissenschaften sei demnach der Gedanke gewesen, dass z.B. Naturkatastrophen einfach passieren, ohne Schuld und Zutun des Menschen. Diese Fähigkeit zur Objektivierung habe aber erst die Naturbeherrschung möglich gemacht und den Erfolg der Naturwissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert. Die zentrale Metapher für diese neue Weltbetrachtung ist bei Elias das heliozentrische Weltbild: Der Mensch konnte Naturwissenschaftler werden in dem Augenblick, in dem er sich emotional damit abgefunden hat, wortwörtlich nicht mehr im Mittelpunkt des Universums zu stehen. Und es ist eine emotionale Leistung, wenn seine Existenz auf dem Spiel steht, wenn man sich inmitten einer Naturkatastrophe befindet und begreifen muss, dass nüchterne Risikokalkulation erfolgsversprechender ist als Beten.
Elias will nun dieselbe Entwicklung für die Sozialwissenschaften, dass die Menschen begreifen, dass Gesellschaften nach Gesetzmäßigkeiten funktionieren, für die niemand etwas kann, dass Staaten nicht wie Staatsbürger agieren können und dass etwa an einem Krieg niemand im moralischen Sinne schuld sein muss. Nur dann könnten die Menschenwissenschaften der Menschheit Nutzen bringen, nur so können die menschengemachten Katastrophen und Leiden ebenso beherrscht werden wie die natürlichen. Und natürlich steckt etwa in Verschwörungstheorien ein solch engagiertes, protoanimistisches Denken: Die Unfähigkeit zu akzeptieren, dass das Leiden in der Welt niemand gewollt oder bestellt haben muss, nicht die da oben, nicht die Juden, nicht die weißen heterosexuellen Männer.
Rapgenius ist weitestgehend Kopfschütteln. Also die Interpretationen jetzt.

Hast du dich im Rahmen deines Studiums mit der Engagement-Distanzierungs-Theorie befasst?

Worauf möchte die Frage hinaus?

War jetzt tatsächlich rein interessehalber.

Ich hatte ein Norbert-Elias-Seminar, da kannte ich aber Norbert Elias schon. Glaub aber, Engagement und Distanzierung und überhaupt Elias´ wissenschaftstheoretische Schriften habe ich erst im Zuge dieses Seminars zur Kenntnis genommen

Ich fand es erstaunlich, dass du nicht in die von Puls erhobene Analyse über die Wortschätze diverser Rapper mit einbezogen wurdest. An zu geringem Output kann es ja nicht gelegen haben. Hättest du dich gefreut, dort aufzutauchen?

Wäre nett gewesen, aber ist ja auch nur ein Gimmick.

Du hattest nach Erscheinen der amerikanischen Vorlage, bei der Aesop Rock den ersten Platz belegt hatte, ja bereits eine eigene Statistik erstellt, bei der du laut eigener Aussage vor Aesop Rock gelandet bist.

Ja, ich fand das lustig und prokrastinierte vor mich hin. Aber die Leute, die das jetzt auf Deutsch gemacht haben, sind diffiziler vorgegangen und kamen entsprechend zu anderen Ergebnissen. War übrigens gleichauf mit Aesop Rock, nicht vor. Das war auch der Grund, warum ich das gepostet hatte, weil das erste Ergebnis auf die Zahl identisch war mit Aesop.

Hast du schon einmal E-Mails von Fans erhalten, die dir dann eingescannte, benotete Hausarbeiten oder Referate aus Deutsch Grund- oder Leistungskursen / dem Studium geschickt haben, in denen sie deine Texte mit einbezogen haben?

Ja, zwei oder drei.

Wie reagierst du auf so was?

„Ja, cool, danke“… wie soll ich schon darauf reagieren?

Na, freust du dich darüber oder ist es eher so, dass du es zwingend zur Kenntnis nimmst?

Eher Freude, wenn ich mich jetzt festlegen müsste. Ist nett, klar. Aber ist auch nicht rauch-, ess- oder fickbar

Haha, true. Du hast in der JUICE einmal gesagt, dass du Haftbefehl dafür feierst, dass er sich von dem jahrelang durchgenudelten Bushido-Flow, dem sich seinerzeit nahezu jeder Straßenrapper angenommen hat, emanzipiert und gewisse Songstrukturen aufgebrochen hat, dabei jedoch hinsichtlich Betonungen und Technik mehr oder minder wie die Stieber Twins rappen würde.
„Ich halt den Wahn auf Wayne und den Rap auf RAG-Niveau“ rappst du auf „Du hattest nie das Zeug dazu“, speziell Aphroe huldigst du auch auf „Signatur“ mit der Zeile “Ich hol Aphroes alten, unterkühlten Wortwitz aus dem Eisfach“. Ohnehin bist du für die ein oder andere RAG-Referenz stets zu haben.
Findest du, dass Deutschrap um Aphroe und die Stiebers technisch anspruchsvoller war als viele Künstler heutzutage? Heutzutage ist es ja eher üblich der vorherrschenden Vielfältigkeit und dutzenden Koexistenzen verschiedener Sub-Genres innerhalb des Rap-Kosmos zu frönen.

Absolut. Also jetzt nicht unbedingt im Sinne eines generellen Querschnitts, dass damals technisch unbedingt mehr ging, aber mein Technikverständnis geht über Doppelreime und Schnellsein hinaus.

Zu dem generellen technischen Verständnis von damals muss ich sagen, dass viele Alben und Songs durch die übermäßige Anzahl an verschachtelten Sätzen und die generell meist viel zu überladenen Zeilen, plus die Hektik beim Rappen, unhörbar wurden. Lakmann ist an der Stelle auch ein positives Beispiel für jemanden, der den Wandel und die Generationsablöse souverän gemeistert hat und besser wurde.
Worin lagen deiner Meinung nach denn die Stärken von Aphroe und den Stiebers? Was sollte man sich von ihnen abschauen?

Gibt einen starken Fokus auf arbiträre Wortspiele und Reimstrukturen, die darauf ausgelegt sind, dass man sie auch klar und eindeutig erkennen und würdigen kann am Ende der Zeile. Die genannten haben mehr Dynamik im Flow, ein stärkeres Spiel mit Betonungen und Assonanzen, insgesamt einfach mehr Funk.

Man kann im Internet immer wieder lesen, dass man dich gerne mal auf „interessanteren“ Produktionen hören wollen würde. Könntest du dir vorstellen dich auf lange Sicht aus deiner Komfortzone aus rohen Loops etwas herauszuwagen?

Aus den Loopstrukturen ja. Aber es wird beim nächsten Album eher wieder roher einer-, ausproduzierter andererseits. Also dreckiger Klang, mehr Minimalismus, wenn‘s sein muss, aber weniger einfache, redundante Strukturen im Beat.

In einem Interview hast du mal gesagt, dass du dich gegen das etwas konservativere Soundbild à la traditionelles New Yorker Soundbild Anfang der Neunziger wie es auf „Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte“ zu hören ist, lange Zeit gesträubt hast. Der Meinung vieler deiner Hörer nach, hatte „Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte“ das stringenteste Soundbild. Wird auf späteren noch einmal der Bogen zu dem Album gespannt, soundtechnisch? Oder denkst du überhaupt nicht so weit?

Naja, so richtig traditionell ist das Soundbild ja auch nicht. KIEBG klingt ja nicht einfach nach 90erJahre-NY-Rap, sondern ist eher an Roey Marquis oder Azad und wahrscheinlich deren ältere französische Vorbilder dran, würde ich meinen. Aber nein, natürlich plane ich jetzt nicht, ob und wann ich mal soundtechnisch den Bogen zurück spannen könnte zu meinem aktuell letzten Album.

Du hast in einem Interview mal über die vermeintliche Nonkonformität einzelner Individuen, die glauben sich von „der Masse“ abzugrenzen, gesprochen: „In den Verflechtungen des Lebens – dadurch, dass ich Fleisch esse und das Tier in einer furchtbaren Massentierhaltung lebt – also von all diesen Zusammenhängen, auf die ich als Individuum keinen Einfluss habe, habe ich mich freigemacht, mir da irgendeine symbolische Schuld zuzuschreiben, und lebe sehr gut damit. Und muss so nicht zur Ich-Dissoziation übergehen. Es ist ja ein symbolischer Akt diese Gans nun nicht zu kaufen – die Gans ist ja schon tot – die Gans wird ja nicht zum Leben erweckt, dadurch, dass ich sie nicht kaufe. Entweder wird sie von jemand anderem gekauft oder weggeschmissen. Dieses „Wenn alle so handeln würden…“ – die handeln ja nicht so. Wenn du also beispielsweise militanter Veganer wärst, dann versuch etwas gegen die Industrie auszurichten, aber der bloße Konsumverzicht ist Ablasshandel.“ Der militante Veganer würde dieser Aussage vermutlich folgendes entgegnen: „Der bloße Konsumverzicht entspricht genau dem, was man in der Regel tut, wenn man etwas moralisch verwerflich findet. Man macht es nicht, man unterstützt es nicht. Ich hab was gegen Kinderpornografie und konsumiere sie deswegen nicht. Ich bin allerdings auch kein Anti-Kinderporno Aktivist. Kleines Substitutionsexperiment: „Es ist ja ein symbolischer Akt diese KINDERPORNOS nun nicht zu kaufen – die KINDER sind ja schon gebumst – die KINDER werden ja nicht entbumst, dadurch, dass ich sie nicht kaufe.“ Ist Konsumverzicht von Kinderpornografie jetzt auch Ablasshandel?

Man müsste erstmal Bock auf Kinderpornographie haben, damit die Substitution funktioniert und Kinderpornographie müsste ähnlich problemlos wie Fleisch zu bekommen sein, damit es tatsächlich zu einem bewussten Nichtkonsum käme. Wenn also die Supermärkte voll wären mit Kinderpornos, ich und der Großteil der Menschen auf Kinderpornos stehen würden, ich aber ein moralisches Problem damit hätte, wie Kinderpornos entstehen, dann wäre der bewusste Verzicht auf den Konsum von Kinderpornos ebenso Ablasshandel, ja.

Naja, in gewisser Hinsicht sind sie ja ähnlich problemlos wie Fleisch zu bekommen oder zumindest zugänglich. Was die gesetzliche Regelung bei dem bewussten Kauf von kinderpornographischem Material betrifft, wurde jüngst ja zu genüge in den Medien zelebriert.

In welcher gewissen Hinsicht sind Kinderpornos ähnlich problemlos wie Fleisch zu bekommen oder zumindest zugänglich? Das ist doch albern. Ich krieg von Veranstaltern Rider zugeschickt, da kreuze ich drauf an, ob und wie viel vegetarisches Essen ich zum Auftritt brauche. Niemand bietet mir von sich aus Pornos an und fragt mich dann, ob in meiner Crew jemand ist, der in seinem Porno bitte keine Kinder vorfinden möchte.

Was hindert dich denn daran, dir im Internet Zugang dazu zu verschaffen?

Also sorry, der Vergleich wird an der Stelle albern.

Du thematisierst auf „Menschenpyramiden“ u.a., dass der Mensch sich recht schnell in einem Kreislauf, der Produktion und Konsum begünstigt, wiederfindet. Inwiefern hat dich die Erwartungshaltung deiner Eltern hinsichtlich deiner Selbstverwirklichung und nicht als automatisiertes Individuum, das um 18 Uhr aus der Fabrik kommt, sich noch ’ne Pizza kommen lässt und dann vor dem Fernseher auf der Couch einschläft, zu enden – möglicherweise anfangs, möglicherweise noch immer – gehindert?

Keine Ahnung, wie du an der Stelle auf meine Eltern kommst und was ich darauf antworten soll. Abgesehen davon, dass ich mich jetzt nicht von allem freimachen würde, was in Menschenpyramiden thematisiert wird und vor allem nicht in der Form, dass ich mich als selbstbestimmtes Wesen über Fabrikarbeiter erhoben fühle.

Standen deine Eltern denn schon immer außen vor was deine Ambitionen an die Musik, Studium, etc. betrifft?

Ich steh echt auf dem Schlauch, worauf die Frage zielt und wie sie motiviert ist. Also ich kann mich nicht erinnern, jemals eine „Erwartungshaltung meiner Eltern hinsichtlich meiner Selbstbestimmung“ thematisiert zu haben.

Oft findet man sich – gerade als Jugendlicher – doch in einem Konflikt zwischen Erwartungshaltung der Eltern und Selbstverwirklichung. Angenommen die Erwartungshaltung deiner Eltern entspräche eher dem von dir in „Menschenpyramiden“ beschriebenen Kreislauf… Darauf wollte ich hinaus

Nö, meine Eltern waren da nie besonders forcierend. Glaub auch allgemein nicht, dass das noch so ein großes Thema ist… also im Sinne von „Ich will aber Goldschmied werden“ „Du wirst Gerüstbauer, wie dein Vater!“

Wie stehen eigentlich die Chancen, dass du dich eines Tages doch noch der „größeren Rachegeschichte“, die letztlich in die verworfene „Menschenfreund“ EP gemündet wäre, annimmst?

17 zu 83, so ungefähr.

Ich glaube, deine gesamte Hörerschaft ist sich einig darüber, dass es schon sehr abgewichst ist, eine verworfene EP mit einem starken Titeltrack so halbwegs offiziell (nicht-) anzukündigen. Wobei es ja eine gewisse Eigendynamik entwickelt hat: Jeder hat Bock drauf.

War nie mein Plan, da einen Detoxseitenprojekt heranzuzüchten. Wollte nur den Kontext des Tracks erläutern… außerdem war die doch sogar schon früher angekündigt, als ich noch dachte, die wird irgendwann mal fertig werden.

Bezüglich der „Golden Era“-Aussage bezüglich der Lage in Deutschrap, hattest du noch angemerkt, dass es in Sachen „Klassiker-Alben“ jedoch noch hapern würde. Wie siehst du das hinsichtlich deines eigenen Backkatalogs? Wird das nächste Soloalbum „Limbus“ also das rundeste, textlich pointierteste Prezident-Album? Oder zu welchem tendierst du?

Ich find Alice und das letzte am besten. Ich glaub aber schon, dass es noch ein bisschen besser geht. Geht ja auch nicht nur um Texte, geht ja um Musik.

Jut, das wär’s so weit

(Das Interview wurde von kopfkrieg-youth.de geführt und nachträgliche editiert von Simon Huber)

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